Die Nacht der Tränen

Das Buch der Geschichten

 

Bollbork 502 n.T.

 

Die Bibliothek unseres Klosters ist ausgebrannt und unser Buchschatz verloren. In diesem Buch werden wir Überlieferungen aus unserem Gedächtnis heraus aufzeichnen, um sie zu bewahren. Da derzeit erneut eine Zeit des Flüsterers gekommen ist, beginne ich mit dem Bericht über die Nacht der Tränen und das erste Erscheinen des Flüsterers.

 

Abraxas

 

Die Nacht der Tränen, die Zeit des Flüsterers, Aleanas Totentanz

 

Dass unsere Bücher brennen ist nicht zum ersten Mal geschehen. Es ist ein knappes Jahrhundert her, dass das Kloster zuletzt brannte: während der Schwarzen Treibjagd 405 n.T.. Wer nun glauben mag, die Phalwargs hätten es angezündet, liegt falsch. Für so etwas braucht es nicht mehr als verzweifelte Menschen.

 

Das Land litt während der Schwarzen Treibjagd große Not: Hunger, Angst und Verzweiflung beherrschten das Land. Es schien keinen Ort zu geben, an den man sich vor den Phalwarg-Horden flüchten konnte. Sie tauchten mal hier und mal da auf. Die Phalwargs hatten kein Interesse die Macht über Gebiete zu erlangen, sie versuchten nicht, Bauern am Leben zu lassen und die Ernte zu erhalten. Sie mordeten und plünderten. Sie hinterließen nur Asche und Tod.

 

Es war (und ist bis heute) ein Rätsel, wie es sein konnte, dass es unvermittelt so viele Phalwargs gegeben hatte. Die Gelehrten fanden keine Antworten, eine natürliche Vermehrung schien ausgeschlossen. Man meinte, es handele sich wohl um eine göttliche Plage und rief die Götter um Erklärung und Hilfe an. Die Bauern und Handwerker munkelten, dass der Versuch der Gelehrten mit ihren Studien und Fragen den Geheimnissen des Landes auf den Grund zu gehen, die Götter erzürnt habe. An vielen Orten im Lande fanden sich bald Gruppen von Menschen zusammen, die versuchten durch Selbstgeißelung, Verbrennen von Büchern und Hinrichtung gelehriger Menschen die Götter zu besänftigen. Noch viele Jahre nach dem Ende der Schwarzen Treibjagd glaubten sie, sie hätten das Ende der schrecklichen Plage durch ihr Handeln herbeigeführt.

 

All dies fand auch in Tollgund einen grausigen Höhepunkt. Eine Gruppe der Geißelgänger kam in die Stadt. Wo die Geißelgänger durch die Gassen zogen, versteckten sich viele Einwohner erschrocken in ihren Zelten. Andere Tollgunder schlossen sich ihnen in der Hoffnung ihrem Schicksal eine Wendung geben zu können an. Tollgund war noch Königsstadt, aber der König war mit seinen Truppen gegen die Phalwargs gezogen. Des Königs Vogt Amaro Lindenlaub wurde der Lage, die sich über wenige Tage zuspitzte, nicht Herr. Schließlich kam es zum blutigen Höhepunkt der Unruhen, der Nacht der Tränen. Die Geißelgänger durchstöberten die Zelte der Adeligen und Wohlhabenden nach Büchern, erschlugen wen sie für gelehrt hielten. Sie zogen zum Kloster von Bollbork, mordeten diejenigen, die es verteidigten, unter ihnen auch den Vogt Amaro Lindenlaub. Dann brannten sie das Kloster mit Menschen und Büchern nieder. Wer aus den Zelten des Klosters flüchtete, wurde mit Pieken und Forken erstochen und mit Schaufeln erschlagen. Nur wenige vom Stamm von KRÖTE und KRÄHE überlebten und auch viele andere Bollborker wurden Opfer des Mobs.

 

Unter den Toten war eine junge Frau, Aleana vom Stamm von KRÖTE und KRÄHE. Neben ihrer Arbeit im Kloster hatte sie sich als Tänzerin einen Namen in der Stadt gemacht. Sie war frisch mit dem Stellmachergesellen Brin aus Franden verheiratet, doch nun war sie tot. Wie es die Toten manchmal machen, rief sie am Heiligtum, wo die Schleier dünn sind, nach Brin und sprach lange mit ihm. Doch wie es die Toten nicht machen sollten, weigerte sie sich weiter zu gehen, nachdem sie ihn gesprochen hatte. Aleana rief hinter dem Schleier nach KATZE und flehte sie an, ihr einen Rückweg zu zeigen. Sie rief nach KRÖTE und KRÄHE, bat sie ihr da Wissen um einen Weg zurück ins Leben zu geben. Sie rief viele andere der Naturgeister an. Irgendwann wurde es still.

 

In den Tagen, die folgten berichteten manche Bollkborker ein seltsames Flüstern in der Stille gehört zu haben. Viele schliefen schlecht, hatten unruhige Träume. Der Flüsterer sprach zu ihnen von den heiligen Flöten Bollborks. Er sprach ihnen von einer besonderen Melodie. Sie fühlten das Verlangen, die Melodie am Heiligtum zu spielen, doch der amtierende Abraxas verweigerte es, nahm die Flöten in seine Obhut. Er wurde in seinem Zelt ermordet, als jemand sich die Flöten stahl. Dann erklangen die Flöten laut vernehmlich mit einer beunruhigenden Melodie, bis etwas zu reißen schien.

 

Entsetzt sahen die Herbeigeeilten die Gestalt der toten Aleana, schaurig-schön, rachsüchtig und wütend vom Heiligtum kommend. Sie tanzte zu einer unhörbaren Melodie. Wen sie in ihrem Totentanz berührte, der fiel tot zu Boden. Weder Worte noch Waffen schienen sie aufhalten zu können. Sie tanze von Viertel zu Viertel und zog eine Spur des Todes durch die geplagte Stadt. Schließlich trat Brin ihr entgegen, forderte sie zum Tanz. Als er in ihren Armen tot zu Boden sank, verflüchtigte sich ihre Gestalt wie ein Morgennebel im Windhauch und sie ward nie wieder gesehen. Sie hatte mehr Menschen mit in den Tod genommen, als in der Nacht der Tränen umgekommen waren.

 

Seither kommt es immer wieder zu Versuchen des Flüsterers den Schleier zwischen den Welten zu durchstoßen, die Zeit des Flüsterers. Wenn er gehört wird, werden die Flöten in Einzelteile zerlegt und von denen versteckt, die den Ruf des Flüsterers nicht hören. Welch ein Wesen hinter dem Flüstern steckt, wissen wir nicht.

 

 

 

 

 


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