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TABOO - Larpzeit Artikel

"Gewinnen ist hier tabu – aber Taboo ist ein Gewinn"

 

Artikel über unserem TABOO Larp, aus der letzten LARPzeit. Geschrieben von Heinrich Dickerhoff:

 

Helden der zweiten Reihe hatte die Tollgund-Orga über Pfingsten 2024 wieder ins CVJM-Feriendorf in Herbstein geladen. Das Setting der Con war angelehnt an die düsteren Serien „Taboo“ und Penny Dreadful, oder auch an Filme wie Sleepy Hollow und Pakt der Wölfe. Die Reise ging ins Jahr 1826 auf eine Insel vor der kanadischen Westküste, die im Spiel Hawakani-Island heißt.

 

Ich möchte hier keinen Spielbericht geben, sondern die „Philosophie“ skizzieren, die die Taboo-Con prägt:

 

1. Hier gibt’s nichts zu gewinnen

 

Es ist in Ordnung, wenn man beim Spielen gewinnen will. Wo es etwas zu gewinnen gibt, kann man auch lernen, anständig zu verlieren. Aber in Tollgund und auch beim Taboo gibt’s nicht zu gewinnen. Keine Heldentaten bei nächtlichen Streifzügen oder auf dem Schlachtfeld. Du wirst weder Grüner Erzpaladin noch Hochmagier, weder General noch Gouverneur. Wenn du Allmachtsphantasien ausleben willst, um den Alltagsfrust zu vergessen, dann bist du hier falsch. Die NSCs sind keine Prügelknaben, sondern können dich das Fürchten lehren. Und versuche besser gar nicht, in der – übrigens hervorragenden – Taverne mit deinen Taten zu prahlen. Niemand wird dir beeindruckt zuhören. Erzähle, was dir zugestoßen ist, wer dich verprügelt oder betrogen, verflucht oder zu Tode erschreckt hat, erzähle von Plänen, aus denen wieder nichts geworden ist.

 

Zwei einfache Regeln dämpfen deine Erfolgsaussichten als Held und Powergamer. Nach der „Dreier-Regel“ dürfen nie mehr als drei Personen gemeinsam ins Abenteuer ziehen, du wirst also nie als Heerführer auftreten können. Und die Licht-Regel besagt, dass du bei Nacht eine Laterne mit dir tragen musst. Glaub nicht, dass du dann viel siehst, geblendet stolperst du durch die Gegend, aber alle sehen dich. Bei vielen Cons gäbe es da wohl Protest, aber nicht in Tollgund oder bei Taboo. Die hier spielen, wollen nicht gewinnen, sondern spielen, und im Spiel möglichst intensive Gefühle spüren.

 

2. Rollenspiel, nicht Schlachtencon mit Verkleidung

 

Auf Großcons hatte ich oft den Eindruck, dass sehr verbissen „gekämpft“ wurde, dass der Sieg das Spielziel war und eine verlorene Endschlacht zu Wut und Tränen führte. Als wären es letztlich nur Schlachtencons mit Verkleidung. Das habe ich bei Tollgund und Taboo ganz anders erlebt.

Fast keine OT-Blasen. Keine lauten Berichte, wie man es den fünf Orks gezeigt hat. Aber liebevoll ausgedachte, gespielte und weiterentwickelte Charaktere. Dazu immer die Bereitschaft, sich auch über die Rolle und das Rollenspiel der anderen zu freuen. Und jedes Anspiel wird angenommen, keine Gruppe, die zusammensaß, signalisierte: „Lasst uns in Ruhe, wir wollen jetzt für uns sein!“

 

Diese empathische Offenheit steht OT hinter dem Spiel, aber sie wird IT ausgespielt. Es wird gelogen und betrogen, Intrigen werden gesponnen, Schlägertrupps ausgeschickt, Attentäter angeheuert, Konflikte, Standesunterschiede und Vorurteile kräftig ausgespielt. Und es gibt heftige Gefechte, vor allem gegen die geheimnisvollen Huntsmen, die immer wieder plötzlich angreifen. Aber nie habe ich erlebt, dass gespielte Gemeinheiten persönlich genommen wurden - das Opfer eines fast erfolgreichen Mordanschlags hat ja auch mehr Spiel als der Auftraggeber.

 

Und es wird geschossen. Schüsse hallen, Pulverdampf liegt über der Stadt. Wie soll das gehen, hatte ich mich vor der ersten Taboo-Con gefragt. Wenn dich ein Larp-Schwert oder -Pfeil trifft, so spürst du das. Aber wie soll das gehen mit Pistolen und Musketen? Wer soll denn umfallen, wenn nur die Spieler entscheiden, ob sie getroffen sind oder nicht? Aber das war gar kein Problem. Kunstblut fließt und spritzt reichlich, überall brechen Getroffene zusammen, das Lazarett ist übervoll. Und dort wird gestöhnt und geblutet, operiert und mit düsteren Ritualen geheilt, was das Zeug hält, wenn auch nicht ohne seltsame Nebenwirkungen.

 

3. Geschichte verbindet

 

Die meisten Cons, die ich besucht habe, spielten in fantastischen Welten, orientiert an Tolkiens Entwürfen. Das lässt den Spielern viel Freiheit bei der Gestaltung ihrer Charaktere. Taboo aber spielt in der Geschichte, 1826 an der kanadischen Westküste. Das war historisch eine spannende Zeit, in der die französische Revolution nachwirkte und die Restauration versuchte, das Rad zurückzudrehen, in der die Aufklärung in den Wissenschaften mehr und mehr praktisch wurde, während die Romantik die menschliche Vernunft in Frage stellte und gegen das „Leben als Geschäft“ protestierte. Nicht Einzelheiten, aber die Grundspannungen fand ich in der Taboo-Con wieder. Wissenschaftler experimentierten mit Elektroschocks an Verwundeten, die sich nicht mehr wehren konnten, und hatten dazu eine entsprechende Maschine gebaut – und zugleich schwappte aus dem Moor das Unheimliche mit Zauber und Flüchen immer wieder hinein in die scheinbar von Wirtschaft und Wissenschaft bestimmten Orte. Auch die realen Sprachen ermöglichten großartige Spielmomente: da saßen bei einem Diner Wissenschaftler, Kultisten und Dichter zusammen, und es wurde auf französisch und englisch, deutsch und portugiesisch diskutiert und gestritten. Mangelnde Sprachkenntnisse waren dabei kein Manko, sondern forderten heraus zu kreativen Verständigungsversuchen.

 

Die historische Rahmung wird dabei nicht so eng verstanden, dass sie das Spiel blockiert. Grenzen bei der Ausstattung waren weniger historisch als atmosphärisch begründet, die Taboo-Spielwelt ist nicht der „Wilde Westen“. Viktorianische Kleidung ist zwar historisch verfrüht, stört aber die Atmosphäre nicht. „Cowboy-Kostüme“ hingegen verändern sofort das Setting, vor allem durch die Waffen, die man mit dem westerntypischen Schießereien verbindet: Colts, abgesägten Schrotflinten, Repetiergewehre. Die Musketen und Pistolen, die bei Taboo zugelassen sind, müssen hingegen nach jedem Schuss aufwändig nachgeladen werden.

 

4. Die unsichtbare Orga

 

Bei Großcons muss die Spielleitung sichtbar präsent sein, etwa durch rote Kappen. Bei der mit 200 – 400 Spielern deutlich kleineren Taboo-Con sind Spielleitung und Orga fast unsichtbar. Wer das Spielfeld betritt, tritt auch ins Spiel ein und muss darum „gewandet“ sein, auch die Orga. Und weil sie sich nicht durch rote Mützen oder gekreuzte Arme als angeblich unsichtbar aus dem Spiel nehmen will, wird sie unsichtbar. Und doch war die Orga immer präsent durch Anspiel gewandeter NSCs in wechselnden Rollen wie durch starke Impulse von außen. Die gekonnte Mischung aus Zurückhaltung und Präsenz entspricht nach meiner Wahrnehmung der Grund-Philosophie der Tollgund- und Taboo-Orga: ermöglichen, nicht erzwingen, anregend sein, nicht auffällig, Spielangebote einbringen, aber nie sich zwischen den Spielern entwickelnden Aktionen ausbremsen, selbst wenn dann manches nicht nach Plan läuft. Aber nach Plan läufts beim Larpen ja fast nie.

 

5. Plot-Büffet statt Spiel-Menue

 

Es gibt Cons mit klarem Hauptplot, wo alles auf eine die Welt rettende Endschlacht zuläuft. Den Spielern wird ein Spiel-Menu serviert, ein Gang nach dem nächsten. Man kennt die Dramaturgie und weiß, am letzten Abend wird abgeräumt. Das ist bei Taboo anders, es ist eher ein Plot-Büffet. Viele kleine Angebote sind angerichtet, jeder Spieler wählt erst einmal aus, was ihn reizt, und etliche Spieler stellen selbst mitgebrachte Leckerbissen dazu aufs Büffet. Einzelne Gänge werden weder angekündigt noch beendet, und beim Time Out ist immer noch viel auf dem Büffet, das beim nächsten Mal weiterserviert werden kann. Wer es also gern etwas unübersichtlicher und überraschender hat, wer lieber viele kleiner Happen probieren als einen Riesenteller Hauptgericht zu sich nehmen möchte, wer mag, das überraschende Ergänzungen von Gästen mitgebracht werden und wer vielleicht auch selbst etwas für andere mitbringen mag, dem wird das Taboo-Rezept sicher gefallen.

 

Fazit:

 

Die Rahmenbedingungen, die die Tollgund-Orga setzt, ziehen offensichtlich Spieler an, die vor allem mit anderen ein schönes Spiel haben wollen, und das kann man hier selbst dann haben, wenn man betrogen oder verprügelt wird. Der halb-historische Rahmen der Taboo-Con eröffnet ein alle verbindendes Spielfeld und die Möglichkeit, sich tief in eine Rolle hineinzuspielen. Die Orga hält zwar die Fäden in der Hand, macht aber niemanden zur Marionette und greift gern von den Spielern eingebrachte Ideen auf und webt sie in das Spiel-Muster ein. Gewiss nicht die einzige Art zu larpen, aber, wie ich gemerkt habe, für mich genau die richtige.

 

Zum TABOO Larp...


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