Das Lied der Befleckten

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Vor knapp 500 Jahren gründeten die ersten Siedler auf diesem fruchtbaren Land Gründelschwinge.

 

Ihr friedliches Leben wurde aber gestört: Von den Tríel, die man aber nur die „Farblosen“ oder „Befleckten“ nannte. Diese Wildlinge behaupteten schon länger hier zu leben, ja, Gründelschwinge läge genau auf ihrem „heiligen“ Boden.

 

Einige Silurier behaupten heute noch, dass diese Wesen sogar Menschen seien. Sie sahen aus wie Menschen – auch wenn sie sehr weiße, fleckige Haut und rote Augen hatten. Aber die meisten Gründelschwinger zählten sie zu den Anderlingen, da sie alle zaubern konnten. Jeder Tríel war von Geburt an eine Hexe oder ein Schamane. Wahrscheinlich haben sie sich nur als Menschen getarnt, damit die Siedler mehr Mitleid mit ihnen haben sollten. Zum Glück waren die Menschen gefeit gegen Mitleid.

 

In der „Mondschlacht“ – oder der „Schlacht um Gründelschwinge“ – kam es zur entscheidenden Auseinandersetzung: Genau zwischen Gründel und Schwinge hatten sich die Tríel verschanzt – um ihren „heiligen“ Boden zu schützen. Oder, um genau dort ihre dunkle Kraft zu beziehen?

 

Der große Feldherr und General Krähber führte die tapferen Soldaten des Reiches an. Seine Geduld mit den Befleckten war zu Ende: Wie konnten diese Wildinge es wagen, sich genau zwischen Gründel und Schwinge breit zu machen?

 

Die Schlacht entbrannte am Tage und als sie endete, leuchtete nur der volle Mond. Die Kämpfe waren zäh, denn die Befleckten nutzten finstere und heimtückische Zauber.

Doch der Wagemut und die Entschlossenheit der Siedler war am Ende stärker! Trotz hoher Verluste konnte alle Tríel erschlagen werden.

 

Erst später stellte sich heraus, dass die Soldaten einen hohen Preis zu zahlen hatten:

 

Viele der Frauen und Männer sollten Albträume und Krankheiten bekommen haben. Kaum einer traute sich das Schlachtfeld zu betreten. Und die wenigen, die es doch versuchten, kamen völlig irr zurück. Die meisten von ihnen musste man einsperren und davon abhalten, sich selbst die Augen auszukratzen. Die verdammten Tríel hatten nicht nur die Soldaten, sondern auch den Boden verflucht! Das Land, was jetzt Gründel und Schwinge trennt.

 

Erst Jahre später fanden einige neue Siedler heraus, dass es einen Weg gab, um auf die andere Seite zu gelangen: Man musste sich die Augen verbinden und vorsichtig über das Feld herüberschleichen. „Sie ganz leiste. Flüstere nur selten. Bewege dich langsam. Dann lausche! Schleiche weiter. Aber bleibe niemals zu lange stehen! Und renne nicht! Und kämpfe nicht gegen die Geister, die an deinem Leib zerren…“

 

Die Verräterin Mirka

 

Die Geschichte wäre ohne die Mirka, die Verräterin, nicht vollständig: Mirka Weitauge war eine 18-Jährige Bogenschützin aus Grabwinden, die mit den Befleckten im Bunde stand. Heimlich besuchte sie die Sippe der Tríel, um ihre „Kultur“ besser verstehen zu können. Tatsächlich schlich sich Mirka in der Nacht vor der Mondschlacht in das Lager der Feinde – um die Pläne des Generals zu verraten.

 

Sie wurde beobachtet, wie sie am Lagerfeuer der Tríel saß und mit ihnen gemeinsam ein Lied sang:

 

„Hinter toten Wäldern, an einem fernen Ort

 

klingt dieses Lied; trägt dich von hier fort.

 

 

Wohin wirst du gehen in diesem roten Land?

 

Hat er dich gesehen? Gib Acht, du wirst erkannt!

 

 

In den toten Wäldern ruft ein toter Baum.

 

Legst du dich dort hin, verschlingt dich dieser Traum!“

 

Am nächsten Morgen ließ General Krähber sie trotzdem in der Schlacht kämpfen. Er wollte es mit eigenen Augen sehen, wieweit ihr Verrat gehen würde. Und siehe, die Bogenschützin schoss in der Mondschlacht in die Rücken ihrer Waffenschwestern und -brüder!

 

Nach dem Sieg versammelten sich alle auf dem Marktplatz von Gründel. Bevor Mirka als Verräterin hingerichtet wurde, sang sie noch einmal das Lied der Befleckten. Kein Soldat konnte sie daran hindern – ein Beweis, dass auch sie verflucht war. Oder gar eine Hexe?

 

Als das Lied verstummte, stach man ihr in den Rücken – so wie man es jeher mit Verrätern getan hatte. Sie brach auf allen Vieren zusammen. Dann zog General Krähber langsam einen Dolch einen Dolch. Einen stumpfen, schmutzigen Dolch – um ihn in ihren Hals zu stechen. Noch bevor sie starb, gingen die Soldaten in die Taverne, um zu feiern. Mirka, die Verräterin, verblutete wie geschlachtetes Schaf. Ganz langsam. Und allein.

 

Die Alten behaupten, „das Blut der Mirka“ könne man heute auf dem Marktplatz von Gründel sehen.